„Das Grün und die Weite des Raumes ist bis in jedes Zimmer und an jede Haustür spürbar.“ (1)
Die Grünflächen im Hansaviertel der Interbau
Für die städtebauliche Struktur des Hansaviertels sind die Grünflächen ebenso konstitutiv wie seine Bauten. Bereits 1953 im Siegerentwurf des Ideenwettbewerbs für den Wiederaufbau des Hansa-Viertels von Gerhard Jobst und Willy Kreuer mit Wilhelm Schließer sind sie integraler Bestandteil der Planungen. In radikaler Abkehr zu den kaiserzeitlichen Stadtstrukturen der „steinernen Stadt“ mit ihrer dichten Bebauung an engen Korridorstraßen schlugen sie ein stark durchgrüntes Hansaviertel vor. In ihrem Entwurf reduzierten Jobst und Kreuer die zu bebauende Fläche, indem sie auf kleiner Grundfläche in die Höhe bauten und damit große Freiflächen ermöglichten. Die Grenzen zwischen Wohnbereich und Grünbereich des Tiergartens wurden aufgelöst, so dass beide ineinander übergehen konnten. Unter anderem ordneten die Architekten die geplanten Hochhäuser in zwei Buchten an, die sich zum Tiergarten hin weit öffneten. Auch der endgültige Lageplan des Hansaviertels lässt durch die weiten Abstände zwischen den Bauten und ihre zum Tiergarten hin abfallende Höhe das Grün tief in das Wohngebiet hineinreichen. Das Verhältnis von bebauter Fläche und Grünfläche war im alten Hansaviertel 1 zu 1,5, während im neuen Hansaviertel ein Verhältnis von 1 zu 5,5 erreicht wurde.
Abschnitt I von René Pechère (1908–2002) und Hermann Mattern (1902–1971)
Abschnitt II von Otto Valentien (1897–1987) und Ernst Cramer (1898–1980)
Abschnitt III von Herta Hammerbacher (1900–1985) und dem Schweden Edvard Jacobson (1923–1986)
Abschnitt IV von Gustav Lüttge (1909–1968) und Pietro Porcinai (1910–1986)
Abschnitt V von Wilhelm Hübotter (1895–1976) und Carl Theodor Sorensen (1893–1979)
Um die Freiflächen in zeitgemäßer Weise und in hoher Qualität gestalten zu können, beauftragte der Senat fünf Teams aus jeweils einem deutschen und einem internationalen Gartenplaner, die je für einen Teilbereich zuständig waren. Eine wichtige Rolle spielte der Gartenarchitekt Walter Rossow (1910–1992), der sich als Mitglied fast aller Ausschüsse der Interbau für die Gleichwertigkeit von Landschaftsplanung und Hochbauplanung einsetzte. Immer wieder wies Rossow auf die Diskrepanz hin, die zwischen dem Motto der Interbau „Der Mensch in der grünen Großstadt“ (2) und dem Fehlen einer engagierten Grünplanung für das Hansaviertel bestand. In einem Anfang 1955 verfassten Exposé „Die Grünflächen im Hansaviertel“ (3) forderte Rossow die enge Zusammenarbeit zwischen Hochbauarchitekten und Gartenarchitekten bereits während der Entwurfsphase. Auf sein Drängen beschloss der Leitende Ausschuss, Gartenarchitekten in die Planungen für das Viertel einzubeziehen. Die oben erwähnten Teams von Gartenplanern nahmen schließlich zum Jahresbeginn 1956 ihre Arbeit auf, (4) damit allerdings erst nach der Fertigstellung des Lageplans und der meisten Hochbauentwürfe.
Als inhaltliche Orientierung für die Gartenarchitektur formulierte Rossow, dass die Grünflächen keine Dekoration sein und auch keine „romantische(n) Landschaftsbilder“ darstellen sollten. Vielmehr sollten Räume „aus Häusern und Bäumen in freier offener Stellung und im Übergang zum Parkgelände“ (5) des Tiergartens geschaffen werden. Zudem solle „ein sichtbarer Zusammenhang zwischen dem Außen und Innen“ (6) entstehen. Auch Otto Bartning verwies darauf, dass die Grünflächen „für die Anlieger und ihre Kinder wohnbar“ (7) gemacht werden sollten, eine Forderung, die in den 1950er Jahren weitverbreitet war und auch von dem Gartenarchitekten Hermann Mattern in seinem Buch „Die Wohnlandschaft“ vertreten wurde. (8)
Gleichzeitig sollte das Grün in die Häuser Einzug halten, beispielsweise indem die Hofgärten der Einfamilienhäuser als „Grünes Zimmer“ dienten. Im Hansaviertel wurden diese Forderungen in den Atrium- und Hofhäusern umgesetzt. Auch bei den Scheibenhäusern des Viertels ist das Bemühen um die Auflösung der Grenzen zwischen Grün und Wohnbebauung ablesbar. So ermöglicht der aufgeständerte Wohnblock von Oskar Niemeyer an der Altonaer Straße Blickbeziehungen in das Grün und führt den Freiraum durch das Gebäude. Gemeinsam zu nutzende Begegnungsbereiche sind durch Modellierungen des Bodens, durch Wegeanlagen mit verschiedene Pflasterungen, durch Anlage von Rankzäunen und Sitzgelegenheiten gegliedert. Auf den größeren Grünflächen selbst stellen singulär gestellte, hochwüchsige Bäume und Ziersträucher sowie Verbindungswege den Übergang zum Tiergarten her.
Ein herausragendes Exempel hierfür bietet die Gestaltung des Hansaplatzes von Herta Hammerbacher, die übrigens die einzige Frau war, die unter den Garten- oder Hochbauarchitekten an der Ausformung des neuen Hansaviertels beteiligt war. Sie bepflanzte den weitläufigen und architektonisch nur wenig konturierten Platz durch hochwachsende Bäume, die wie zufällig angeordnet erscheinen und damit aussehen, als ob sie schon immer zum Tiergarten gehört hätten. Ein organisch angelegtes Wegesystem strukturiert die großen Rasenflächen des Platzes zurückhaltend. Viel bewundert wurde vor allem das den Platz prägende Verlegemuster des Bodenbelags aus teils maßangefertigten Platten. An manchen Stellen leicht radial angelegte Belagfelder aus dunklen und hellen Betonplatten sowie Bernburger Mosaikpflaster, die ungleichmäßig in die Rasenflächen ausgreifen, bilden unregelmäßige Formen. Da diese Verbandflächen nicht flächendeckend, sondern nur an ausgewählten Stellen des weitläufigen Platzes vorkommen, entsteht der Anschein, als ob die Pflasterung durch das Wohngebiet ebenso „hindurchfließt“ wie der gesamte Grünbereich des Tiergartens durch die Bebauung. Zudem vereint dieses Verlegemuster das Wohngebiet. Dies ist besonders an der Kreuzung der Altonaerstraße/Klopstockstraße gelungen, wo es auf den jeweils anderen Straßenseiten weitergeführt wird und damit die Platzteile optisch verbindet. Hammerbacher erfüllte also hier eine Interaktion der städtebaulichen und architektonischen Leitideen der Interbau mit der Grünplanung.
Dr. Sandra Wagner-Conzelmann